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Sollten wir Sprachen lernen wie Kinder?

Wir sollten eine Sprache natürlich lernen, so wie Kinder sie lernen …

Mythos oder Wahrheit? Manchmal kommt es vor, dass ein frustrierter Schüler der polnischen Grammatik einen solchen Satz äußert. Es scheint logisch zu sein, dass kein dreijähriges Kind in der Lage ist, das Subjekt vom Prädikat zu unterscheiden, aber trotzdem beherrscht es seine Sprache – viele Kinder sogar in zwei oder drei Sprachen.

Sollten wir daher Lernende nicht besser mit abstrakter Grammatik verschonen, anstatt sie mit Konjugationsgruppen und Deklinationsregeln zu quälen?

Dagegen gibt es gleich mehrere Argumente:

Erstens lernen Erwachsene anders als Kinder, weil ihr Gehirn bereits geformt ist und sie über eine Vielzahl von Erfahrungen, Wissensgebieten und Fähigkeiten verfügen. Studien zeigen, dass Erwachsene am besten lernen, wenn sie:

  • sich auf ihre eigenen Erfahrungen beziehen können,
  • Einfluss auf den Lernprozess haben,
  • Raum für Fehler haben,
  • engagiert sind und den Wert dessen, was sie lernen, verstehen.

Das spricht dafür, diese positiven Faktoren bewusst in den Lernprozess einzubauen.

Zweitens werden Erwachsene niemals die gleiche Menge an Sprachexposition wie Kinder haben oder so viel Zeit zur Verfügung, um Fehler zu machen und daraus zu lernen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir beim Sprachenlernen nicht einige Verfahren bewusst nutzen können, die Kinder unbewusst anwenden.



Implizites Lernen – Grammatik nebenbei

Im Falle der Grammatik geht es um implizites Lernen, also um das Lernen „nebenbei“. Kinder hören zuerst viele Äußerungen, entwickeln auf dieser Grundlage grammatische Regeln in ihrem Kopf und wenden sie anschließend an. Das kannst du auch tun.

Erhöhe einfach die Menge des Hörens und Lesens auf Polnisch und ahme beim Sprechen Muttersprachler nach, ohne dich zu sehr um Fehler zu sorgen. Versuche, möglichst viel aus dem Kontext zu verstehen, indem du unbekannte Wörter ignorierst. Bilde Sätze mit dem Vokabular, das du bereits kennst, und ersetze fehlende Wörter durch einfachere. Auf diese Weise erweiterst du deine sprachliche Erfahrung Schritt für Schritt.



Lernen durch Beobachtung und Reflexion

Die zweite Phase des Lernens – gemäß der von David Kolb entwickelten Methode – ist die Reflexion. Du hörst jemandem zu und bemerkst zum Beispiel, dass dein Gesprächspartner bei bestimmten Handlungen oft Verben verwendet, die auf „-uję“ enden: „Gotuję, mailuję, kontroluję, podróżuję.“

Du fängst an, diese Endungen selbst zu benutzen und stellst fest, dass es nicht immer funktioniert – „mieszkam“ hat schließlich kein „-uję“. Du schließt daraus, dass die Regel nur für Verben gilt, die auf „-ować“ enden. Dies ist die Phase der Generalisierung. Wenn du diese neue Struktur bewusst einsetzt, befindest du dich bereits in der Phase der Anwendung.



Warum Grammatikregeln plötzlich Sinn ergeben

Wenn du Grammatik aus Erfahrung lernst, werden Tabellen und Regeln plötzlich zu einer Hilfe – sie erklären etwas, das du bereits kennst. Du empfindest Erleichterung statt Frustration, weil Grammatik nicht mehr abstrakt ist. Viele Lehrbücher, darunter das beliebte Krok po kroku, arbeiten genau mit diesem Ansatz.



Hat klassische Grammatik also noch Sinn?

Ja, selbstverständlich. Die klassische Grammatikarbeit folgt der sogenannten expliziten Lernmethode, die ihren festen Platz hat. Grammatikübungen sind wie ein Fitnessstudio für das Gedächtnis – sie trainieren gezielt bestimmte Strukturen und festigen sie langfristig.

Außerdem gibt es Lernende, die diese analytische Herangehensweise lieben. Ich hatte einmal einen Schüler, dem ich das Buch 56 Arten der Konjugation polnischer Verben geschenkt habe – er war begeistert. Wenn du dich auch zu dieser Gruppe zählst, könnte dich ein kostenloses Online-Tool interessieren: der Konjugator.

Auf dieser Seite kannst du Polnisch auswählen und nach Eingabe eines Verbs im Infinitiv (z. B. essen, machen, schreiben, springen) alle Formen in Zeiten, Modi und Personen anzeigen lassen. Die Darstellung ist klar und übersichtlich, und du kannst das Tool auch als App verwenden.



Warum Wissen allein nicht reicht

Vielleicht denkst du: „Ich kenne die Regeln, aber wenn ich spreche, fällt mir nichts ein.“ Das ist völlig normal. Das Verwenden grammatischer Konstruktionen im Gespräch hängt vom prozeduralen Gedächtnis ab, während theoretisches Wissen im semantischen Gedächtnis gespeichert ist. Zwischen diesen Gedächtnisarten gibt es eine natürliche Blockade – deshalb reicht Regelwissen allein nicht für flüssiges Sprechen.



Übung macht den Unterschied

Wie im Fitnessstudio musst du trainieren, um dein prozedurales Gedächtnis zu stärken. Das gelingt durch regelmäßige Praxis: Grammatikübungen aus Büchern wie gramatykadlapraktyka.pl, interaktive Online-Kurse wie Po Polsku und natürlich Gespräche mit Muttersprachlern. Lies einfache Texte, höre regelmäßig Polnisch – so kombinierst du implizites und explizites Lernen optimal.

Es wird nicht kinderleicht, aber vieles wird dir spielend gelingen.

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